#22
Später sitzen wir auf dem Dach des fast höchsten Gebäudes, das es hier gibt. Vor uns die geziegelte Dorfskyline. Es ist dunkel, aber noch nicht so spät, wie es aussieht und in den brennenden Fenstern bewegen sich die Menschen wie in Zeitlupe. Wir dürften nicht hier sein, aber wir dürfen so vieles nicht.
Während der Junge und ich nur da liegen, und hoffen, der Himmel möge auf uns herabfallen und uns unter azurblauen Seidentüchern begraben, spielen Stoffel und Simba, auf der feucht-bemoosten Dachpappe umherrobbend, Geheimagenten. Wie ihre unsichtbaren Kugelsalven fliegen auch unsere Träume haarscharf am Herzen des anderen vorbei. Sie sind in ihrer bleischweren Leichtigkeit wie ein Wort das einem nicht einfällt, nur Zentimeter vor deinem Gesicht in der Schwebe hängend, und doch nicht im Blickfeld.
Als unten ein Hund bellt und das Licht angeht, rutschen wir auf nassen Hosenboden den Dachgiebel hinunter, stolpern lachend über Drähte, Steine und Kanten.
Und als ich bodenlos an der Dachrinne hänge, flüchten Stoffel und Simba atemlos und ästebrechend ins nahe Gebüsch.
Nur der Junge steht unten, grinst angstvoll und streckt mir die Arme entgegen. Das Metall unter meinen Fingerspitzen ist kalt, seine Rufe schneiden süß die eisige Luft.
Und als alles über mir bricht, mir mein Unter-mir wegzieht, als ich albern und mit großen Augen für den Bruchteil eines Augenschlags bewegungslos in der Luft hänge, wie in diesen alten Cartoons, und als ich dann wirklich wie ein Klotz falle, und alle meine Wünsche mit mir reiße, da steht er noch immer da unten, mit ausgestreckten Armen. Und fängt mich. Unglaublicherweise wirklich. Und bevor wir auch in den finsteren blätterlosen Busch rennen, in dem sich die beiden James Bonds der Zukunft verbergen, streifen kurz seine Haare meine Wange und seine Finger meinen Hals und mein Traum sein Herz.