#37
Stoffel ist wie die Stasi. Er weiß alles, und jeder weiß, dass er alles weiß. Er agiert leise und geräuschlos und ohne Aufsehen zu erregen. Du versteckst dich vor ihm, aber das funktioniert nicht. Stoffel hört alles und sieht alles und du kannst nichts dagegen tun. Du weißt, dass du dich vor ihm schützen musst, weil es gefährlich wird, wenn er zu viel über dich weiß. Aber du kannst vor Stoffel nichts geheim halten. Stoffel weiß alles. Manchmal ist das gut, meistens ist das schlecht.
Der Junge war mal interessiert an mir, erfahre ich von Stoffel.
Irgendwann zwischen Ende Oktober und Anfang Februar. Ende Februar war das aber dann nicht mehr, da kam ja Stoffels Cousine.
Mit der ist es aber auch schon wieder vorbei, erfahre ich von Stoffel.
Gefühle gehen schnell. Wenn es überhaupt Gefühle waren und nicht nur Alkohol, Angst und Einsamkeit.
Jetzt kontaktet er mit einer, die Judy heißt und mal wieder ewig jünger und ewig dümmer ist, als er selbst. Ich mag Judy nicht, denn Judy ist falsch.
Zorro ist auch hinter Judy her, erfahre ich von Stoffel.
Judy ist ein scheinheiliger Engel und macht beiden Hoffnungen und ist süß und nett und schreibt mit Kusssmileys.
Der Junge weiß nichts von Zorro und Judy, und Zorro weiß nichts vom Jungen und Judy.
Vermutlich jedenfalls. Ich würde ja gerne alle davor bewahren, Fehler zu machen. Mit Judy, mit der Liebe und dem Leben. Aber natürlich hört keiner auf mich, denn niemand glaubt jemandem, dessen Leben sich aus abermillionen Fehlern zusammensetzt, wenn er sagt: „Pass auf, du machst einen Fehler.“
Ich bin blöd, ich hab’s verbockt, erfahre ich von Stoffel.
Warum ich denn nicht zwischen Ende Oktober und Anfang Februar was gesagt habe zum Jungen. Wer weiß, was dann gewesen wäre.
Die schwarze Nacht erschlägt mich fast, dann liege ich kurz in Stoffels Armen und weine trockene Tränen.
Der Scheißkerl hätte ja auch mal was sagen können, sage ich in seinen schwarzen Sweater.
Der Junge hat doch immer zu viel Angst, sagt Stoffel, du bist halt nicht so eine wie Judy oder die Ex oder meine Cousine. Bei dir hat er Angst.
Und ich? Ich hab doch auch Angst. Ich hab so viel Angst.
Wir sagen nichts mehr, und ich denke, dass mir jetzt eigentlich nicht mehr viel zum perfekten Unglück fehlt. Dann gehe ich ins Haus und gucke zwei Filme. Eine Weile stehe ich am Fenster und blicke in den Sommerherbstwindhimmel und denke über die systematische Selbstzerstörung meines Lebens nach.
Bei Sonnenaufgang gehe ich ins Bett.