#13
Sie ist fünfzehn und lässt sich ein Tattoo stechen. Ihre Freunde finden das im Sekunkentakt ganz toll, ich sitze derweil kopfschüttelnd-zweifelnd vorm blau-weiß flimmernden Desktop.
Vielleicht bin ich auch voreingenommen; ich stand noch nie so richtig auf falsch geschriebene chinesische Schriftzeichen auf kalkigen Schulterblättern.
Ein Tattoo mit Tiefgang, bittesehr.
Sich aber einfach nur wahlweise die Worte Kraft, Liebe oder Leben in einer exotisch anmutenden Sprache, die man in Wirklichkeit nie lernen wird, weil man es gar nicht will, unter die Haut kratzen zu lassen, so wie all die vor Intelligenzlosigkeit strotzenden Frauentausch-Mamis, also das ist bei mir nicht gerade Zeichen für Originalität.
Aber sie ist so eine. Eine, die meine nicht-existenten Vorurteile täglich bestätigt.
Ihre Liebschaft mit einem gewissen J. und ihr unsägliches Leid nach Beendigung eben jener, konnten live mitverfolgt werden. Vorzugsweise copyundpastet sie auch heute noch tiefsinnig-oberflächliche Mutmach-Traurigkeiten.
Sie propagiert unnötigerweise ständig eine Art skurilen Neo-Feminismus, während sie einen Satz weiter ihre freiwillige und vergötternde Abhängigkeit vom männlichen Geschlecht lobpreist.
Ihre Freundinnen sind insgeheim ganz neidisch auf das stupide Geschwafel und würdigen es mit zahlreichen Kusssmileys. Sie verbeugt sich danach ausholend, indem sie noch ein Bild von ihrem neuen Tattoo hochlädt.
So funktioniert das heute.
Ich kann die Gänse schnattern hören.
Wenn ich es recht bedenke, so ein Schriftzeichen-Tattoo würde doch ganz gut zu ihr passen.