#7
Manchmal, wenn die Sonne langsamer untergeht als sonst und den Himmel gänzlich rot färbt und die Luft noch immer warm ist, habe ich das Bedürfnis barfuß loszulaufen und all die alten Träume zu suchen, die ich irgendwo verloren habe.
Die Träume finden und fangen, die alten Schlawiner, die sich einfach aus dem Staub gemacht haben, ohne zu erklären, warum sie gehen. Sie in den Händen halten, behutsam, damit sie nicht wieder entwischen, denn Träume sind flink, sie zum flammenden Rot-Orange am Horizont tragen. Die Träume am Feuer der Sonne wieder entzünden, sie aufflammen lassen, dass sie brennen wie einst, und immer weiter brennen, auch wenn der Winter kommt, der kalte. Dass sie brennen und brennen und brennen.
Aber meistens bleibe ich doch nur sitzen und warte bis der Mond am Himmel steht und höhnisch und selbstgefällig zu mir herunter grinst.
Dann wird mir manchmal schlecht, aber nur manchmal.
jossa am 30. Juni 12
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#6
Bei Gurken-Tomaten-Brot und 17°C Außentemperatur in einer Küche mitten in der rheinischen Provinz die Siebziger-Jahre-Musik voll aufdrehen und so tun, als düse man bei sengender Sommerhitze in einem roten Cabriolet mit offenem Verdeck über einen menschenleeren Highway in Texas – mit einer Leiche im Kofferraum, einer Knarre im Handschuhfach und fünf Litern polnischem Selbstgebrannten auf dem Rücksitz.
jossa am 27. Juni 12
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#5
Rückblick:
Es ist Nacht, irgendwann im Sommer. Wir sind auf dem Heimweg.
Leichtigkeit.
„Glaubst du an die große Liebe?“, frage ich den Jungen.
Er zuckt nur mit den Schultern. „Was meinst du?“
„Glaubst du, dass es nur diesen einen Menschen im Leben gibt, mit dem du glücklich werden kannst?“
Die ferne Straße brummt im Hintergrund. Irgendwo bellt ein Hund.
„Nein“, sagt er und sieht mich an.
Sein Lächeln, bloß sein Lächeln, und ich wünschte, ich wäre ehrlicher.
jossa am 24. Juni 12
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#4
Mit meinem verhunzten Jahrgang in einer Regionalbahn, Bildungsreise in die nächste größere Stadt. 200 übermüdete Jugendliche, die Zukunft Deutschlands, kaugummikauend, restalkoholisiert, desillusioniert . Ein paar Jungs spielen Mau-Mau mit, die Karten sind hinten gelb und verziert mit Slogans der FDP. Ein Teil der Bahnstrecke liegt in einem Funkloch. Dreiminütiger Netzausfall. Großes Drama.
Wir laufen durch die Stadt, die Hose des blonden Hünen, der vor mir läuft, ist an einer Stelle am Oberschenkel geflickt. Ich bilde mir ein, dass er an dieser Stelle am Bein eine Narbe hat und weiß doch, dass das Quatsch ist.
Die Lehrer sagen ‚Sie‘ zu uns, und rufen trotzdem: „Kinder, bleibt zusammen!“.
Jemand fragt, wo die nächste Spielhalle ist.
Später die Erkenntnis, dass es manchen, auch nach Erreichen der lang ersehnten Volljährigkeit, noch immer nicht möglich ist, sich länger als eine Stunde am Stück zu konzentrieren. Als ob man mit vulgären Lauten noch irgendwen beeindrucken könnte.
16.30 Uhr, Rückfahrt zur Rushhour. Wir klauen den Pendlern die Sitzplätze. Es stinkt nach Schweiß und schlauer als am Morgen sind wir auch nicht. Der Mann neben mir liest eine Sportzeitschrift. Sami Khedira ist angeblich 150 Millionen wert.
Heimliche Freude über den Gnom in Calvin-Klein-Boxershorts, der trotz übersteigertem Selbstwertgefühl kaum an die Haltestangen an der Decke der Bahn heranreicht. Seine vollen Lippen schaffen es in ruhendem Zustand fast eine Sinnlichkeit vorzugeben, die über den Müll hinwegtäuscht, der sonst aus diesem Mund fließt. Aber nur fast. Wer mich täuschen will, muss andere Geschütze auffahren.
Ein paar Plätze weiter sitzen die, für die ich namenloser Pöbel bin. Die Ellbogen auf den Knien, die Köpfe in den Händen, die Musik in den Ohren. Zwar Hemdenträger, aber nicht Sympathieträger. Intelligent, aber hinterlistig. In den Augen der meisten gutaussehend. Mindestens 12 Punkte in allen Fächern, trotz allabendlicher Saufgelage. Es tut weh, daran zu denken, dass sie es sein werden, die in ein paar Jahren mein Geld verwalten.
Der als skrupellos geltende Schülersprecher mit großen Ambitionen - sogar seine Freunde sagen, dass sie ihn nicht gewählt hätten - schaut mit leeren Augen gegen die Wände des Zugklos.
Ein Mädchen ärgert sich über ihren Freund, aber irgendwie sprechen plötzlich alle über Pädophilie, wahrscheinlich, weil es doch keinen interessiert, ob sie sich nun trennen, oder nicht.
Der Boden ist abgetreten. Die Luft ist verbraucht. Die Frage ist, ob wir es auch sind. Wahrscheinlich ja, schon längst.
Ich tu so, als wär ich trotzdem zufrieden.
Noch sieben Minuten bis zuhause.
#3
Wenn ich eines verabscheue, sind es Menschen, die ihre Gefühle nicht mehr mit Worten oder dem Weglassen von Worten ausdrücken können, sondern nur noch mit Emoticons.
jossa am 23. Juni 12
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#2
In den kleinen gelben Heftchen, findet man, bevor das eigentliche sprachlich angestaubte, abiturrelevante Drama beginnt, ein Personenverzeichnis.
Hier ist meins.
Die Protagonistin: s. #1
Muttern: weckt und bekocht mich, schaut Sitcoms mit mir, hat immer ein Ohr zum Zuhören und einen Arm zum Kuscheln frei, glaubt immer noch an mich.
Vatern: chauffiert mich, löst Computerprobleme, führt lebenswichtige Diskussionen über Gott und die Gesellschaft mit mir, glaubt immer noch an mich.
Zorro: kleiner Bruder eins, bemüht tougher Mädchenschwarm und Gentleman, Komiker, Künstler, coole Sau.
Simba: kleiner Bruder zwei, Witzesammler, Hütehund, Rapper und Triangelspieler aus Leidenschaft.
Flora: beste Freundin, mit der ich durch die Weltgeschichte reise, nicht selten ohne das Haus zu verlassen.
der Junge: der, der nichts mehr liebt als sich und seine Videospiele, aber dessen Haut nach Freiheit riecht. Große, heimliche, ewige, hoffnungslose Hoffnung.
jossa am 21. Juni 12
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#1
Ich bin ein ganz normales Mädchen aus einem langweiligen Dorf in der Nähe einer Kleinstadt in Deutschland. Ich besuche ein ganz normales Gymnasium, beheimatet in einem Gebäude, in dem der Schimmel von der Decke tropft und Ratten in den Schränken wohnen. Wenn ich mich dort nicht gerade mit Wissen füttern lasse, schreibe ich, spiele Fußball und ein Instrument, um das es hier nicht gehen soll. Ich bin notorisch unordentlich, stolzer, aber leidender Hypochonder und gelangweilt von den Menschen, die mich umgeben.
Beste Voraussetzungen für einen Blog?