Freitag, 7. November 2014
#38
Cut.



Samstag, 15. Juni 2013
#37
Stoffel ist wie die Stasi. Er weiß alles, und jeder weiß, dass er alles weiß. Er agiert leise und geräuschlos und ohne Aufsehen zu erregen. Du versteckst dich vor ihm, aber das funktioniert nicht. Stoffel hört alles und sieht alles und du kannst nichts dagegen tun. Du weißt, dass du dich vor ihm schützen musst, weil es gefährlich wird, wenn er zu viel über dich weiß. Aber du kannst vor Stoffel nichts geheim halten. Stoffel weiß alles. Manchmal ist das gut, meistens ist das schlecht.

Der Junge war mal interessiert an mir, erfahre ich von Stoffel.
Irgendwann zwischen Ende Oktober und Anfang Februar. Ende Februar war das aber dann nicht mehr, da kam ja Stoffels Cousine.
Mit der ist es aber auch schon wieder vorbei, erfahre ich von Stoffel.
Gefühle gehen schnell. Wenn es überhaupt Gefühle waren und nicht nur Alkohol, Angst und Einsamkeit.
Jetzt kontaktet er mit einer, die Judy heißt und mal wieder ewig jünger und ewig dümmer ist, als er selbst. Ich mag Judy nicht, denn Judy ist falsch.
Zorro ist auch hinter Judy her, erfahre ich von Stoffel.
Judy ist ein scheinheiliger Engel und macht beiden Hoffnungen und ist süß und nett und schreibt mit Kusssmileys.
Der Junge weiß nichts von Zorro und Judy, und Zorro weiß nichts vom Jungen und Judy.
Vermutlich jedenfalls. Ich würde ja gerne alle davor bewahren, Fehler zu machen. Mit Judy, mit der Liebe und dem Leben. Aber natürlich hört keiner auf mich, denn niemand glaubt jemandem, dessen Leben sich aus abermillionen Fehlern zusammensetzt, wenn er sagt: „Pass auf, du machst einen Fehler.“
Ich bin blöd, ich hab’s verbockt, erfahre ich von Stoffel.
Warum ich denn nicht zwischen Ende Oktober und Anfang Februar was gesagt habe zum Jungen. Wer weiß, was dann gewesen wäre.
Die schwarze Nacht erschlägt mich fast, dann liege ich kurz in Stoffels Armen und weine trockene Tränen.
Der Scheißkerl hätte ja auch mal was sagen können, sage ich in seinen schwarzen Sweater.
Der Junge hat doch immer zu viel Angst, sagt Stoffel, du bist halt nicht so eine wie Judy oder die Ex oder meine Cousine. Bei dir hat er Angst.
Und ich? Ich hab doch auch Angst. Ich hab so viel Angst.
Wir sagen nichts mehr, und ich denke, dass mir jetzt eigentlich nicht mehr viel zum perfekten Unglück fehlt. Dann gehe ich ins Haus und gucke zwei Filme. Eine Weile stehe ich am Fenster und blicke in den Sommerherbstwindhimmel und denke über die systematische Selbstzerstörung meines Lebens nach.
Bei Sonnenaufgang gehe ich ins Bett.



Samstag, 18. Mai 2013
#36
Wenn Tony nicht kann, ruft Stoffel mich an.
Manchmal bin ich dann etwas beleidigt, offensichtlich nur zweite Wahl zu sein. Im Grunde ist es wahrscheinlich nur Neid. Nicht Neid auf Tony wegen Stoffel, um Himmels Willen. Nur Neid auf das, was die beiden aneinander, miteinander haben. Neid auf die spielerische Vertrautheit zwischen ihnen, die kleinen Wangenküsse zwischendurch, die ewigen Streitereien, die erst tränenreich und gespickt mit Trennungsdrohungen sind, aber immer ein Happy End haben.
Ich bin dann auch nie lange beleidigt.
Heute auch nicht. Stoffel war also hier, wir liegen ein bisschen herum, langweilen uns ein bisschen, hören ein bisschen Hipstermusik, reden ein bisschen.
Stoffel trinkt jetzt keinen Alkohol mehr, sagt er. Ich halte das erst für einen schlechten Scherz. Stoffel und Abstinenz, das ist genauso wie Stoffel und Vernunft, das geht irgendwie nicht zusammen.

Aber sowieso ist ja alles etwas seltsam in letzter Zeit. Wenn man "jetzt" mit "letztes Jahr um diese Zeit" vergleicht, dann sind da einige Sachen relativ verquer. Und am liebsten möchte ich alles wieder aufräumen. Die Puppen nochmal dahin stellen, wo sie vor einem Jahr standen und das Spiel von vorne spielen. Der letzte Sommer in Dauerschleife, das wär's doch. Repeat, repeat.

Wir driften alle auseinander, das hat der Winter aus uns gemacht.
Flora, Stoffel, Tony, der Junge und ich, ist das jetzt ein "Es war einmal..."?
Die Bräune ist von der Haut verschwunden und all der frische Wind ist weg, irgendwer hat die Kerzen ausgepustet. Das hat Stoffel auch schon gemerkt, aber bevor wir drüber reden, wechseln wir besser das Thema.
Das Leben ist nunmal kein Lied, das man immer wieder hören kann.

Als Stoffel geht, fühle ich mich trotzdem besser. Auch wenn wirklich alles seltsam ist und mich schreiend und wirr umkreist, Stoffel ist geblieben wie er auch letztes Jahr schon war. Ehrlich, lieb, und kein bisschen erwachsen. Das beruhigt mich. Manche Dinge gehen, manche Dinge bleiben.
Als ich in wegradeln sehe, ist da Hoffnung. Nicht so viel wie letztes Jahr um diese Zeit, aber doch ein bisschen.
"Es war einmal..." ist auch immer der Anfang einer Geschichte.



Mittwoch, 8. Mai 2013
#35
Von der Winterenddepression geradewegs in die Sommeranfangsdepression.
Ich hocke zuhause rum, während der schäbige Rest der Dorfjugend sich weiterhin jeden Morgen auf den Weg zur Schule macht.
Simba ist momentan in einer sehr labilen Phase. Ein nüchtern gesprochenes "Hallo" reicht, damit er an die Decke geht. Wir seien doch alle gegen ihn und keiner habe ihn mehr lieb, und sowieso, wir könnten ihn doch alle mal am Arsch lecken. Atmosphäre mitunter mehr als frostig.
Er stürmt oft wutentbrannt aus dem Haus, um zu KittiKat zu fahren, wo er wenigstens geliebt und mit Respekt behandelt wird.
Schwieriges Alter, denke ich dann, und dasselbe denke ich auch, wenn ich mich und meine Augenringe im Spiegel betrachte.
Ich bin wie eine überfahrene Katze am Straßenrand: zermatscht, unfähig aufzustehen, alles rast an mir vorbei.

Flora sehe ich kaum noch, was ein Zeichen dafür ist, dass sie blutig und halb tot auf der anderen Seite der Straße liegt. Wir hatten sowas schon immer. Gemeinsame Hochs, gemeinsame Tiefs.

Was den Jungen angeht, fahre ich jetzt eine andere Schiene. Willkommen im Zug "Du kannst mich mal".
Rückblickend hab ich ihn immer viel zu gütig beschrieben. Eine Art stiller Held. Ist er nicht. Eigentlich ist er ein einziges Schulterzucken.
Ein M-Mensch: ein Mirdochegal, ein Meldemichnicht, ein Machdudoch, ein Manndunervst. Daher mein neues Motto: i don't care. Hat er ja schließlich auch nie, gecared und so.
Diese Träume in der Nacht bleiben trotzdem, die von ihm. Jede Nacht.
Aber, mirdochegal.



Sonntag, 28. April 2013
#34
Wahrscheinlich war die Party gut.
Stoffel haben wir kotzend nach Hause getragen. Mal wieder.
Tony weint.
Der Junge hat sich die Bänder gerissen.
Ich sitze in der Küche und warte auf den Morgen.

Augenblicke.
"Baby, wir machen das schon", sage ich, als wir Stoffels Kotzeimer ausspülen.
"Ich bin nicht dein Baby", sagt der Junge.
"Ich weiß", sage ich.
Er gibt mir trotzdem seine Jacke, später.
Ich trage sie mit Stolz und zwei weinenden Augen.
Dann geht er kotzen und als er wieder kommt, wische ich ihm die Spucke vom Kinn.
"Ich hab nicht gekotzt", sagt er.
"Ich weiß", sage ich. Seine Augen.
Wie schön wir beide lügen können.

Ich rieche nach ihm und er legt den Arm um mich und kühlt seinen Knöchel und sagt, dass alles gut wird. Ich glaube ihm nicht. Noch nicht einmal ihm. Ihm erst recht nicht.



Samstag, 6. April 2013
#33
Ich lerne, lerne, lerne, fresse, lerne. Jeder Tag ist ätzend, jeder Tag ist langweilig.
Ab und zu mal durch die Wälder laufen mit Flora, ab und zu mal mit Stoffel streiten, ab und zu mal dem Jungen schreiben und keine Antwort kriegen. Antwort bekomme ich nur, wenn ich bei ihm bin, deshalb ab und zu mal zu ihm gehen, auf seinem Sofa sitzen, Horrorfilmsequenzen schauen. Ihm nur halb zuhören, ihn aber ansehen, dabei sterben.
Alle Welt denkt, der Junge und ich wären ein Paar. Warum weiß man nicht.
Der Cowboy erzählt, der Einser hätte gefragt, ob wir jetzt endlich zusammen seien. Der Junge hatte sich doch eine klar machen wollen.
Ich lache fünf Minuten, dann sage ich "Da war dann wohl nicht ich gemeint", und dann lache ich nochmal fünf Minuten. Danach überlege ich, ob ich mir die Kugel geben soll, aber stattdessen lache ich weiter. Am Ende bin ich so gut gelaunt und finde das Ganze so witzig, dass ich dem Jungen fast eine SMS schicke und ihm davon erzähle. Tu ich dann aber nicht. Kaputte Welt.

Traum gestern, leicht verstörend:
Dem Jungen werden alle Haare abgeschoren, aber ich stelle fest, dass er trotzdem noch schön ist. Dann soll ich hingerichtet werden, warum wird nicht deutlich, und Simba weint deswegen, aber ich finde das voll in Ordnung. Damit ich einen Eindruck davon bekomme, was auf mich zu kommt, zeigen sie mir exemplarisch an einem Hamster, wie man einen Kopf sauber vom Rumpf trennt. Der Hamster quiekt erbärmlich. Es berührt mich nicht.



Freitag, 29. März 2013
#32
Das war's jetzt. 12 Jahre Schule.
Am letzten Tag standen wir herum und eigentlich wollte keiner gehen, aber bleiben wollte auch keiner. Ich bin aus dem Klassenraum marschiert, dieses Grinsen auf den Lippen: Ich habe die Welt besiegt.
Dass der schwerste Teil noch kommt, das lässt sich so leicht vergessen.
Ich war wie ein Luftballon. Leicht und über allem schwebend.
Ich hab zu spät gemerkt, dass alle weinen. Und als ich sie gesehen hab, die Tränen, die sich in den staubigen Boden graben, da dachte ich: Wieso?!
Ich stand da, wie jemand, der etwas nicht begriffen hat, ich hab sie alle angesehen, wahrscheinlich wieder nichts kapiert und einfach mal betreten nach unten geguckt.
Irgendwann bin ich dann gegangen, ein paar liebe Worte (oder Worte, die so klingen sollten) an die Freunde (oder manche, die so tun als ob), und raus hier. Ich kann mit Menschen, die weinen, weil es die Situation verlangt, nichts anfangen. Vielleicht fehlt mir da wirklich was, wer weiß.
Ich weiß bloß, dass ich glücklich war, als ich aus dem Gebäude trat. Dass ich glücklich war, letztendlich da angekommen zu sein, wo ich nie hin wollte.
Ich trat unter die Sonne und in die frische Luft, als träte ich aus einem Atombunker, der jahrelang mein Zuhause gewesen war. Ich atmete, als hätte ich noch nie geatmet.
Ich hab bis jetzt nicht geweint. Ich wüsste nicht wieso. Die letzten Jahre habe ich so viel geweint, warum sollte ich weinen, wenn ich den Grund für mein Weinen hinter mir lasse?
Ich werde nichts vermissen. Auch nicht die Menschen. Ich sage Menschen, weil ich jetzt schon dabei bin, ihre Namen zu vergessen. Schließlich wussten sie meinen Namen auch nie. Ein bisschen hoffe ich, dass sie sich an ihn erinnern werden, wenn ich ihre längst nicht mehr weiß.
Weint ruhig, aber ich werde nie um euch weinen.
Nicht um euch als Kollektiv. Ihr seid ja alle nett, aber in der Masse seid ihr scheiße. Oder ihr seid in der Masse nett und ich allein bin scheiße. Aber selbst das wäre mir jetzt egal.
Was zählt ist: Ich bin frei, jetzt, endlich.
Aber stimmt, das Schwerste kommt noch.
Nein, das Schwerste ist geschafft.



Mittwoch, 20. März 2013
#31
Der Frühling kommt noch immer nicht und die letzten Schultage meines Lebens kann ich an einer Hand abzählen.
Alle sind ein wenig gestresst, aber gut gelaunt. Der Alkoholpegel morgens um 10 ist konstant höher als die Motivation das Abitur zu bestehen.
Unsere Stunden sind gezählt.

Die schlimmsten Tage sind jetzt wohl vorbei. Die Tage, in denen mich der Junge nicht einmal mehr angesehen hat. Diese Tage:
Er sitzt in der Eingangshalle der Schule auf dem dreckigen Boden, die Beine angewinkelt, so dass die hochgekrempelte Hose unten hochrutscht und seine weichen Knöchel freigibt. Er sieht mich nicht an.
Er steht in der Eingangshalle, direkt neben mir, aber er schaut nicht hoch. Kein Lächeln mehr für mich. Ewiges, schweigendes Nebensich-Stehen. Irgendwann lacht er, kurz und still, alleine für sich, und das bricht mir das Herz. Dann geht er. Ohne Worte. Er sieht mich nicht an.
Abends liege ich im Bett, und ich hoffe, dass es nie wieder Morgen wird.
Es wird immer Morgen.

Und dann kamen die ersten Tage mit ihm, wieder bei ihm sein, als wär nichts gewesen. Nicht noch einmal drüber reden, obwohl es so viel zu sagen gäbe. Nicht alles noch schlimmer machen.
Abende verbringen mit ihm, neben ihm sitzen und mit ihm lachen ohne ihn anzusehen.
Vergessen, dass ich ihn vergessen wollte.

Wir sind auf Reisen gefahren, mit Simba, Big B und den ganzen anderen Idioten.
Wir alle in einem stinkenden Bus, der Junge neben mir. Ich sehe nur auf seine Hände, weil sie das schönste an ihm sind, jedenfalls manchmal.
Irgendwann schlafe ich ein, nicht auf seiner Schulter, natürlich nicht. Alles was früher ging, geht jetzt nicht mehr.
Als ich aufwache, sagen sie, er hätte auch geschlafen, und sein Kopf sei auf meinen gefallen. Ich glaube ihnen nicht, denn er sitzt kühl und bewegungslos neben mir, schaut in die Dämmerung. Wie ich. Ewiges Land, ewiges Leben. Wie ich.
Das erste Mal wieder betrunken sein mit ihm. Das dunkle Bier schmeckt süß und als wir allein nach Hause gehen schlägt er ein Rad auf der Straße. Ich denke, dass ich wieder mit ihm leben kann. Ich hör nicht auf ihn zu vermissen, aber ich kann lernen ohne ihn mit ihm zu leben. Bei ihm sein, ohne bei ihm zu sein, hoffen, ohne Hoffnung zu haben, lieben, ohne lieben zu dürfen, das alles kann ich lernen.
Vielleicht habe ich es schon gelernt.
Bei Facebook gefallen ihm die Bilder von fremden Mädchen.



Samstag, 2. März 2013
#30
Der Junge weiß jetzt alles. Ich war bei ihm, zitternd, als hätte ich mein Leben zu verlieren. Ich habe mein Leben verloren.

Es hat sechs Jahre Mut-Sammeln gebraucht. Für Worte, die der Sache nicht gerecht werden, Worte, die so nichtig sind, dass man sie, sobald ausgesprochen, wieder verschlucken möchte. Er hat nur dagesessen, in Jogginghose, und seinen Joghurt gemümmelt und hat, ganz trocken, ganz, als hätte er das auswendig gelernt, gefragt, was er jetzt tun soll. Ich wusste keine Antwort darauf, und ich konnte ihn nicht ansehen. Als ich gegangen bin, hab ich auf die schmutzige Hose geguckt, die vor seinem Bett lag, und gedacht, das ist das allerletzte Mal, dass ich das sehe. Eine schmutzige Hose vor seinem Bett.

Dann hab ich all seine Bilder, die großen und die kleinen, all seine Bilder in eine Kiste gepackt. Ich hab die Briefe genommen, die er nie gekriegt hat, und sie in eine Kiste gepackt. Ich hab alles, was er je in mir und bei mir zurückgelassen hat, in eine Kiste gepackt. Ich hab mein Leben in eine Kiste gepackt.25x45x35 cm Leben. Mehr ist da nicht. Über den Deckel habe ich Panzerband geklebt.
Panzerband flickt alles, außer gebrochene Herzen.

Ich werde die Kiste Flora geben, morgen oder übermorgen, wenn ich sie nicht mehr auf meiner Fensterbank ertrage.
Bei Flora ist sie sicher, dort wird sie unter dem Bett stehen, ewig. Bis wir sie wieder hervorholen, und ich weinend über seinen Fotos sitze und Flora "Hey there Delilah" spielt.

Der Tag wird kommen, oder auch nicht.



Sonntag, 24. Februar 2013
#29
Ein Überblick.
Es nimmt Anfang und Ende mit dem Jungen, alles was passiert ist. Die letzten Wochen.
Da war Karneval, er war wieder betrunken. Dann ist er noch schöner als sonst.
Es ist dunkel, und er läuft hinter mir her, die Schlappohren voll von Schnee und die Stimme voll von Lachen. Er drängt sich zwischen mich und den anderen und drückt mir einen Kuss auf die Wange und ich denke, so ist das also. Später dann liegt er kotzend in der Hecke und telefoniert dabei mit Stoffels Cousine. Das tut er schon länger, sagt Stoffel. Ich sitze den Rest des Abends vor der schleudernden Waschmaschine und weine.
Ein und zwei Tage später. Es gibt Dinge, die kann man sich selbst nicht erklären. Dinge, die der Verzweiflung und der Kälte und der Einsamkeit und dem Alkohol geschuldet sind. Dinge, die passieren, wenn er weg ist, weil er weg ist. Plötzlich ist da dieser Eskimo, und weil ich gerade wieder weine und sonst keiner da ist, lasse ich mich in den Arm nehmen von ihm, und als er fragt, ob ich ihn küssen will, sage ich nicht ja aber noch weniger nein. Manche Dinge passieren.
Irgendwann später heult plötzlich der Eskimo, und als ich sage „Ich küss dich nicht mehr!“, da heult er noch schlimmer und lässt sich gar nicht mehr trösten, nicht von mir, nicht von Stoffel und auch nicht von Tony. Die Dämmerung macht alles noch bedrohlicher und ich bin überfordert und müde, nur der Junge ist topfit und ganz schön angeheitert, und sein Hasenkostüm ist weich und warm. Und als ich seufzend in seine Halsbeuge flüstere, dass ich ihn lieb habe, sagt er: „Ich dich doch auch.“
Später ist es wieder dunkel, und wir laufen nach Hause, Simba und Zorro, Big B, die Blötschköppe, der Junge und ich.
Er hält meine Hände, und wenn er das nicht tut, liegt sein Arm um meine Taille, und ich streiche ihm die Ohren aus dem Gesicht.
Ein Tag später. Der Höhepunkt der Feierlichkeiten am Tiefpunkt meiner physisch-psychischen Ausdauer. Eine Straße, gefühlte 20.000 Menschen, drei Stunden Anarchie. Wir stehen in der Menge, sie werfen Flaschen und zünden Bengalos. Stoffels Cousine ist da, aber zum Glück nur kurz, der Junge bedauert das sehr. Dann verschwindet er und ich sehe ihn lange nicht. Erst wieder auf dem Weg nach Hause, und als er mich an der Haustür abliefert und mit hängenden Ohren davon trottet, da weiß ich, dass ich ihn verliere und nichts dagegen tun kann.
Etliche Zeit später sagt er mir, dass er nicht weiß, ob er das wirklich will, Stoffels Cousine und so, dass er gar nichts mehr weiß momentan. Ich sage, dass ich immer für ihn da bin, wenn er reden will und dann renne ich lachend durch die Nacht und denke, dass es vielleicht Gründe hat, warum er so still wird, wenn ich vom Eskimo rede.