Montag, 28. Januar 2013
#28
Ein blinkender Kurzschluss nach dem andern, gestern Abend. Der Raum pechschwarz –knistert die Heizung, oder sind das meine knallend zerfliegenden Synapsen?- und in meinem Kopf Disco.
Ich liege alleine im Bett und lache seit zehn Minuten. Da sind Gedanken, die laufen kopfüber an der Decke entlang. Dann sind da gar keine Gedanken mehr, nur noch ein hohles Piepsen. Starkregen, ein Wolkenbruch, irgendwo zwischen Sender und Empfänger, da ist kein Durchkommen mehr.
Mein rational denkendes Ich ist im Ruhezustand, oder unters Bett geflohen, alles ausgeschaltet, ich könnte mich durch Luftanhalten selbst ersticken, jetzt gerade. Aber ich lache nur. Krampfartig hervorbrechende Nebenwirkungen der eigenen psychischen Instabilität. Ewig und ewig, so viele Unbekannte.
Der Schlaf erschlägt mich nach Stunden. Fast morgens noch ein dümmliches Grinsen auf den Lippen. Aber wenigstens Arme und Beine noch da.
Das war das Fieber, sage ich mir, oder die Cola, oder die homöopathische Medizin gegen Nasennebenhöhlenentzündung, oder alles auf einmal.



Montag, 14. Januar 2013
#27
08/15-Wochenende, Alkohol und Aspirin, Tanzmusik und Tränen.
Freitagabend, Wendy weint, andere kotzen. Ich, ebenfalls erschreckend weinerlich, starre auf die karierten Hemden der betrunkenen Bauernsöhne. Die, die kotzt, wird am Fenster vorbeigetragen. Man sollte wirklich gehen, wenn keiner mehr redet. Die Frage ist nur, wohin.
Samstagabend, mit alten und neuen Freunden geredet, die Orientierung verloren und wieder gefunden. Wendy weint nicht mehr und wir tanzen, tanzen. Lächeln und Selbstgespräche auf dem Klo, wenigstens schmeckt der Pudding.
Sonntagmorgen, derselbe Raum wie immer, Plastikboden, Plastikstühle, Plastikbecher. Verpickelte Stirn, drei Stunden Schlaf, wie viel wir wieder gemeinsam haben, der Junge und ich. Klägliche Nachtgestalten im Sonnenlicht. So lange hab ich dich nicht gesehen, sage ich nicht. So sehr vermisst hab ich dich, sage ich nicht.
Sonntagnachmittag: Scrabble spielen. Ich lege ‚Sex‘ und kassiere massenhaft Punkte, dreifacher Wortwert und so. Bescheuert einfach. Haushoch gewonnen. Worte sind mein Ding, ich hab es schon immer vermutet.
Montags dann fertiger als freitags.



Dienstag, 8. Januar 2013
#26
Rückblick:
Flora, Stoffel und Tony warten an der Ecke. Sie wollten nicht mit, ihnen ist es zu dunkel hier. Statt dunkel ist es ziemlich leise. Ob sie sich auch vor der Stille so fürchten? Ich sitze auf der Schaukel, Sand zwischen den Zehen, silberner Nachtwind in den Haaren. Die Sterne fliegen mir ins Gesicht.
Der Junge pinkelt nur Meter entfernt ins Laub vom letzten Herbst - das einzige Geräusch hier, es raschelt und knistert, ich schlucke Sternenstaub und Funken verglühen auf meinen Wangen. Das einzige Geräusch hier, wie er ins trockene Laub pisst, so kann das sein, mein Soundtrack für eine Minute, als hätte ich nie was anderes gehört.



Sonntag, 6. Januar 2013
#25
Vor ein paar Monaten noch, als der Junge und ich am offenen Fenster Kugeln aus Aluminiumpapier drehten, stand der Cowboy lachend und feixend in unserer Einfahrt.
Jetzt hört man nur noch wenig von ihm, und schon gar kein Lachen, das heißt, eigentlich hört man viel von ihm, nur eben kein Lachen.
Er droht mal wieder mit Selbstmord. Das ist immer noch nicht witzig, aber bedrohlich ist es auch nicht mehr.
Er tut es doch nicht, sagen Simba und Zorro, und das ist mehr eine Hoffnung als eine Gewissheit.
Nachts therapiere ich ihn dann, das ist ganz einfach. Er bündelt seinen Seelenmüll und schaufelt ihn, gepaart miz existenziellen Fragen, auf den riesigen Berg meines eigenen Seelenmülls.
Der Einser ist über das große Meer geflogen, weg von der Dorftristesse und dem suizidalen Kindheitsfreund. Vielleicht bringt er uns ein paar mexikanische Nutten mit, oder wenigstens einen von diesen Geschirrspülern, die auch Müll schlucken.
Da setzen wir dann den Cowboy rein, bis sein Kopf leer ist, vielleicht darf ich dann auch mal wieder schlafen.



Montag, 10. Dezember 2012
#24
Kaputtes Neonlampenlicht, Montagmorgen. Ab heute tagelang wieder untergehen im Pulk der Konformisten.
Wer hier nach Meinung sucht, hat schon verloren, denn Meinung ist, was 14 Punkte bringt.
Als wir damals in der Neunten noch glaubten, wir könnten alles schaffen, haben sie uns, von oben herab, ganz so als wären sie intelligenter als wir, gesagt, ihr werdet sehen, wenn ihr so weiter macht, ihr werdet sehen. Das war keine Warnung, das war eine Drohung, und so haben wir lieber schnell unsere Ideale in einer blau-weißen Kiste mit der Aufschrift 'Dumme Kindheitsideen' verpackt.
Dystopia is not as far as you think, sage ich stumm zum Diktator an der Tafel. Er schaut mich nur aus kalten Augen an. Sein vergiftetes Gedankengut wischt durch my mind wie ein in Chloroform getränkter Tafelschwamm.
Wer nicht aufbegehrt, hat die Revolution niemals gewollt.
Ab und zu dann mal Faust gegen Wand, in der FünfminutenPause im Mädchenklo, und versuchen zu weinen, aber Leere lässt sich so schlecht verflüssigen.
Das einzig Schöne hier ist der Junge, hinter emotionsundurchlässigem Panzerglas und Punkmusik verschanzt, grimmig vor den Chemieräumen stehend.
Wenn ich ihn nochmal atmen höre, Freitag Nacht, dann bin auch ich wieder lebendig.



Dienstag, 27. November 2012
#23
Während die Fotos selbstgefällig aus dem albernen Printer klappen, denke ich, dass sie vielleicht schon nächstes Jahr alles sind, was mir von Jetzt geblieben sein wird.
Wie oft ich in letzter Zeit singend auf dem Fahrrad weine. Auf dem immer selben Nachhauseweg, zwischen grau-gelben Industriehallen, die die Rapsfelder von damals kein bisschen ersetzen.
Wie oft ich dann fast überfahren werde, am Kreisverkehr, wo die Autos immer nicht gucken.
Nur weil ich in den Tränenschlieren meine ungeborene Zukunft erkenne, in einem fremden Einsam-Trostlos-Land, schwer zu finden für die, die noch außerhalb von meinen Schädelwänden wohnen.



Montag, 26. November 2012
#22
Später sitzen wir auf dem Dach des fast höchsten Gebäudes, das es hier gibt. Vor uns die geziegelte Dorfskyline. Es ist dunkel, aber noch nicht so spät, wie es aussieht und in den brennenden Fenstern bewegen sich die Menschen wie in Zeitlupe. Wir dürften nicht hier sein, aber wir dürfen so vieles nicht.
Während der Junge und ich nur da liegen, und hoffen, der Himmel möge auf uns herabfallen und uns unter azurblauen Seidentüchern begraben, spielen Stoffel und Simba, auf der feucht-bemoosten Dachpappe umherrobbend, Geheimagenten. Wie ihre unsichtbaren Kugelsalven fliegen auch unsere Träume haarscharf am Herzen des anderen vorbei. Sie sind in ihrer bleischweren Leichtigkeit wie ein Wort das einem nicht einfällt, nur Zentimeter vor deinem Gesicht in der Schwebe hängend, und doch nicht im Blickfeld.
Als unten ein Hund bellt und das Licht angeht, rutschen wir auf nassen Hosenboden den Dachgiebel hinunter, stolpern lachend über Drähte, Steine und Kanten.
Und als ich bodenlos an der Dachrinne hänge, flüchten Stoffel und Simba atemlos und ästebrechend ins nahe Gebüsch.
Nur der Junge steht unten, grinst angstvoll und streckt mir die Arme entgegen. Das Metall unter meinen Fingerspitzen ist kalt, seine Rufe schneiden süß die eisige Luft.
Und als alles über mir bricht, mir mein Unter-mir wegzieht, als ich albern und mit großen Augen für den Bruchteil eines Augenschlags bewegungslos in der Luft hänge, wie in diesen alten Cartoons, und als ich dann wirklich wie ein Klotz falle, und alle meine Wünsche mit mir reiße, da steht er noch immer da unten, mit ausgestreckten Armen. Und fängt mich. Unglaublicherweise wirklich. Und bevor wir auch in den finsteren blätterlosen Busch rennen, in dem sich die beiden James Bonds der Zukunft verbergen, streifen kurz seine Haare meine Wange und seine Finger meinen Hals und mein Traum sein Herz.



Montag, 29. Oktober 2012
#21
Wir sind jetzt ja jetzt wieder beste Freunde, sagt Wendy.
Momentan einziger Schauplatz dieser wunderbaren Freundschaft: der Schulflur, irgendwo zwischen Bio und Mathe. Winken, Namen kreischen, lachen, weg.
Letztens dann doch mal wieder ein, zwei (viel zu oberflächliche) Gespräche mit ihr. Sie hat mehr geredet, als ich mich je getraut hätte.
Freunde für's Leben, ganz wie früher. Obwohl, so richtig geglaubt habe ich das ja nie. Aber das sage ich ihr natürlich nicht. Ich bin ja kein Unmensch.

Dagegen Flora und ich.
Da sind die Redeanteile entweder gleichwertig oder gehen insgesamt gegen null.
Schweigen bis der Morgen kommt, oder einer von uns vorschlägt mal wieder einen Schatz im Wald vergraben zu gehen. Das tun wir dann. So einfach ist das.

Unbedeutende Nebengeschichte:
Der Junge hat sich heute beim Schafe treiben dreimal die Hände am Elektrozaun verbrannt. Er hat überlebt, aber nur knapp.



Dienstag, 23. Oktober 2012
#20
Heute war der Wind zu warm für Herbst. Im Radio nennen sie es ‚Indian Summer‘.
Die Felder, durch die wir laufen sind noch grün und von oben sieht der Asphalt warm aus. Fast wie an dem Tag, an dem wir uns neu kennenlernten. An solchen Tagen, wenn wir, leichtfüßig und mit sprudelnden Wörtern im Mund, nebeneinander her laufen, denken wir immer noch wir wären etwas Besonderes.
Wenn ich so an die vielen Lieder in meinem Kopf denke, die mit dem Duft von gemähtem Gras in der Melodie, die leichten, die Lieder, mit denen man fliegen lernt, wenn ich so von hinten auf eure nackten Beine gucke, die schönen, muskulösen, dann weiß ich, dass immer noch Sommer ist, obwohl das Laub an den Bäumen gelb und rot getupft ist. Vielleicht wird es immer Sommer bleiben, irgendwie. Vielleicht, wenn wir anfangen an Wunder zu glauben.
Ich sage nicht viel, aber ich sehe wirre Haare im warmen Wunderwind wehen, dicht vor mir, so dicht, dass ich sie riechen kann, und ich weiß: alles wird gut. Irgendwann.



Samstag, 20. Oktober 2012
#19
1:54 Uhr, ich bin ein bisschen betrunken, aber auch nur ein bisschen. Das Gefühl, dass jetzt der richtige Moment wäre, etwas besonderes anzufangen. In nur einer Nacht einen Jahrhundertroman schreiben, zum Beispiel. Oder irgendwie die Liebe finden, endlich. Aber ich. Ich sitze wieder nur in der menschenleeren Küche und lasse alle wichtigen Momente verstreichen. Ohne, dass es mir wirklich etwas ausmacht. Ohne, dass sich Wehmut einstellt. Kein bisschen.
Die wichtigen Momente rennen fast so schnell vor mir weg, wie die wichtigen Menschen. Schneller, vielleicht.
Die Katze niest.
Take me home, country roads.
Das ist anders, so anders.
Die Sinnlosigkeit sehen, ohne, dass es wehtut.
So einsam sein, ohne, dass es schlimm ist.
Das ist neu, aber schön.
Mehr schön als scheiße jedenfalls.
Eigentlich aber auch nur egal.
Letztendlich.



#18
Ein Junge, der fast zu weinen anfängt, weil er einen Regenwurm überfahren hat, kann nur ein guter Junge sein.